Mitten in Lichtenfels steht ein Haus an prominenter Stelle seit Jahren leer. Das Gebäude am Marktplatz 2 verfällt, bis es im Januar 2017 die Besitzer wechselt und der Plan entsteht, diesen Ort wieder zum Leben zu erwecken. Hier soll sichtbar werden, dass sich die Deutsche Korbstadt auf eine ganz besondere Art und Weise verändert. Zusammen mit innovativen Unternehmen, Startups und visionären Ideengebern macht sich Lichtenfels auf in eine neue Zukunft. Diese Entwicklung zu unterstützen ist das Ziel der neuen Eigentümer.
Die Stadt Lichtenfels freut sich über die neuen Impulse für eine Wiederbelebung des zentralen Ortes am Marktplatz und steht den Plänen aufgeschlossen gegenüber.
Ein Beirat aus Experten empfiehlt die Ausschreibung eines Architektenwettbewerbs. So soll die beste Idee für ein neues Gebäude am prominenten Bauplatz im Stadtzentrum gefunden werden.
Im Juni 2018 gewinnt der Entwurf des Architekten Peter Haimerl den Wettbewerb mit einer unkonventionellen Idee. Ein filigraner Glaspavillon wird überwölbt von einem Geflecht aus Edelstahlrohren - eine Referenz an die Weidenbäume als Grundmaterial der Korbflechterei, die jahrhundertelang Erfolgsrezept für die Entwicklung von Lichtenfels war. Der Entwurf verbindet Tradition und Innovation, Natur und Architektur, sowie Innen- und Außenraum und öffnet sich so dem Marktplatz und allen BürgerInnen der Stadt.
Die Idee ist ambitioniert und bringt in den folgenden Jahren alle am Bau Beteiligten dazu, neue, bisher unbeschrittene Wege zu suchen, um die Umsetzung möglich zu machen. Dabei durchläuft der Entwurf zahlreiche Veränderungen.
Die metallenen Äste der Weide beugen sich bis zum Boden herab und bilden in Analogie zu den Arkaden historischer Städte einen lichten Stadtraum.
Die Form des Gebäudes stößt eine Debatte an, die auch grundsätzliche Fragen nach der zukünftigen Identität von Lichtenfels berührt und so bereits vor der Bauphase erreicht, was das Projekt im Sinn hat: Lichtenfelser, Experten und Interessierte ins Gespräch über die Zukunft zu bringen.
Renderings und Virtual Reality machen die geplante Architektur für alle erfahrbar und geben eine Vorstellung vom neuen Blick auf den Marktplatz von Lichtenfels.
"Diese Architektur soll ein sichtbares Zeichen für die Veränderung in Lichtenfels sein."
Architekt Peter Haimerl konzentriert sich auf Projekte, die die Grenzen konventioneller Architektur überschreiten. Er verfolgt dabei ganzheitliche Konzepte, die verschiedenste ExpertInnen einbinden und Architektur mit Bereichen der Soziologie, Kunst, Politik und der digitalen Welt fusionieren lassen.
Zur Architekten Website"Diese Architektur soll ein sichtbares Zeichen für die Veränderung in Lichtenfels sein."
"Sie soll Debatten auslösen, auch durchaus kontrovers."
"Wir haben das Grundmotiv der Weide und der Korbflechterei in eine 3D-Struktur verwandelt."
Der handwerkliche Umgang mit Weiden hat Lichtenfels geprägt, Reichtum geschaffen und den Bau eines städtebaulich hochwertigen Stadtplatzes ermöglicht. Die geplante Weidenarchitektur ist nicht nur inspiriert von dieser Geschichte, auch die Struktur der natürlichen Weidenbäume und die Weide als Material stecken in der DNA des Entwurfs.
„Wir haben einen mathematischen
‚Gen-Code’ entwickelt, der – ähnlich einer realen Weide – Strukturen wie Stämme, Äste und Zweige generiert.“
– Peter Haimerl
Am Computer wurden die biologischen Wachstumsstrukturen abstrahiert und in Algorithmen übersetzt. Ausgehend von einem Quellcode hat sich so die Form der künstlichen Weiden in generativen Schritten selbstständig entwickelt: es wachsen digitale Bäume, die sich vom Stamm aus verzweigen und verästelte Kronen bilden. Der künstlich generierte Weidenhain nimmt die Außenform des alten Gebäudes am Marktplatz wieder auf.
Die Architekten haben die Form der Weidenarchitektur von einem Programm errechnen lassen. Sie transformieren das Wachstum der Bäume ins Digitale und vom Virtuellen wieder zurück in die Realität.
Ein Team aus ArchitektInnen, StatikerInnen, IngenieurInnen und SpezialistInnen für Stahlbau, Glasfassaden, Kühlsysteme und vielen weiteren Disziplinen macht sich 2018 auf die Reise. Ziel ist die Realisierung einer Architektur - eines Hauses und einer Skulptur - für die alle Beteiligten gewohnte Arbeitsroutinen verlassen und neue Wege der Umsetzung suchen werden.
Zu Beginn der Bauarbeiten rücken Archäologen an, um den Grund auf historische Überreste zu untersuchen. Was sie bei ihren Ausgrabungen finden, ist außergewöhnlich und beweist, dass Lichtenfels älter ist, als bisher angenommen.
Unter dem alten Gebäude wird ein Gewölbekeller aus dem 13. Jahrhundert entdeckt. Diesen will man erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Dazu wurde er Stein für Stein nummeriert, ausgebaut und nach der Restaurierung im Keller des neuen Gebäudes wieder eingesetzt.
Vor dem Start der Bauarbeiten wird mit einer spektakulären Aktion die Wand zum Nachbargrundstück abgestützt: Hier wird das erste von mehreren je 25 Tonnen schweren Betonelementen als Stütz- und Brandschutzwand aufgestellt.
Basis des Gebäudes ist eine 40 cm starke Bodenplatte, die später das Gewicht der Stahlweiden tragen soll. Darin eingegossen werden die „Wurzeln" der Bäume: Verankerungsplatten aus Stahl, auf denen die Weidenstämme später angeschweisst werden.
Besonders viel Aufsehen erregt der Fund dieses Gefäßensembles aus der Zeit um 1000 n. Chr. Es handelt sich vermutlich um ein Bauopfer, eingemauert in ein damals neu errichtetes Haus. Doch sein Inhalt hat die Zeit nicht überdauert und lässt uns über den tatsächlichen Zweck nur spekulieren.
Eine Reihe von Bohrpfählen bilden die Kellerwände, auf deren Oberfläche die Spuren des Bohrers und der Erdschichten eindrucksvolle Muster hinterlassen haben.
Basis des Gebäudes ist eine 40 cm starke Bodenplatte, die später das Gewicht der Stahlweiden tragen soll. Darin eingegossen werden die „Wurzeln" der Bäume: Verankerungsplatten aus Stahl, auf denen die Weidenstämme später angeschweisst werden.
Die Stahlverankerungen auf denen die Weidenbäume später „wachsen" sollen, müssen ausreichend Stabilität bieten und wiegen je 3,5 Tonnen.
Die
STATIK
Bauingenieurin Undine Fuchs ist für die Statik des Gebäudes verantwortlich. Im Interview erzählt sie interessante Details über den Rohbau und erklärt die Besonderheiten der Stahlkonstruktion.
Wie stark
bewegt sich
ein Haus
?
„Eigengewicht, Möbel, das Wetter - viele Kräfte wirken auf ein Gebäude. Wir brauchen höchste Stabilität bei möglichst wenig Materialeinsatz. Mit viel Rechenarbeit und höchster Genauigkeit arbeiten Statik und Tragwerksplanung zusammen. Sie erstellen Verformungsanalysen (Bild) und untersuchen wie sehr sich die Teile des Hauses bewegen.“
Wie baut man
ein Haus ohne
Wände
?
„Das Gebäude soll transparent und offen wirken, die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen. Die tragende Struktur des Gebäudes muss deshalb möglichst stark in den Hintergrund treten, die Gebäudeebenen sollen schweben und die Ästhetik im Vordergrund stehen.“
Was fasziniert
Sie am meisten
?
„Monatelang wird auf dem Papier geplant und die Einzelteile des Stahlbaus detailgenau gezeichnet. Alle Schweißnähte, Schraublöcher und Anschlüsse werden mitbedacht. Wie bei einem Legohaus. Wenn der Stahlbauer übernimmt und alles real wird, ist das ein toller Moment.“
die
FASSADE
Metallbauer Josef Gilch kümmert sich um Planung und Einbau der großen Fensterflächen. Im Interview spricht er über die Umsetzung der aussergewöhnlichen Glasfassade.
Wie groß können
Fenster sein
?
„Die Wände dieses Hauses sollen praktisch nicht sichtbar sein, die Konstruktion wie ein offenes Baumhaus wirken. Wir haben also so wenig Teilungen wie möglich eingeplant und die Fenster sind 6 Meter hoch!“
Was hat das
Archiv der Zukunft
mit dem Bauhaus
gemeinsam
?
„Die Wände des Gebäudes bestehen aus Schiebefenstern vom Schweizer Unternehmen Sky Frame. Deren Ziel ist, die Bauhausarchitektur von Mies van der Rohe in einer Art und Weise umzusetzen, wie sie in unseren Breitengraden gut funktioniert: gut isolierende Glasflächen bis zum Boden, ohne sichtbare Barrieren zwischen Drinnen und Draussen.“
Wie kann
ein Gebäude
Vögel schützen
?
„Große Fensterscheiben sind gefährlich für Vögel. Sie werden durch die Spiegelungen irritiert und fliegen gegen das Glas. Wir haben deshalb stark entspiegelte Scheiben verwendet, um das Risiko zu minimieren.“
Wozu braucht
es Saugnäpfe
auf der Baustelle
?
„Sechs Meter hohe Fenster werden natürlich liegend geliefert und die muss man dann irgendwann aufstellen. Mit Hilfe von großen Saugbatterien und einem Kran werden die schweren Scheiben montiert.“
Die
TECHNIK
Bautechniker Bernd Gierlich erzählt, wieviel moderne Technik im Archiv der Zukunft steckt und nennt einige überraschende Zahlen und Hintergrundinfos.
Wofür braucht
es 17 km Leitungen
?
„Das Archiv der Zukunft ist mit modernster Digitaltechnik, Kühl- und Heizanlage ausgestattet. Dafür sind 5 Kilometer Datenkabel, 7 Kilometer Strom- und Steuerungsleitungen, sowie 5 km Rohre für Beheizung und Kühlung im Gebäude verlegt worden!“
Warum hat das
Haus doppelte
Wände
?
„Die größte Herausforderung war, dass die gesamte Technik im Haus auf Wunsch von Architekt und Bauherren unsichtbar bleiben sollte. So wurden sämtliche Installationen hinter vorgebauten Wänden, Fussbodenaufbauten oder Deckenplatten versteckt.“
Wie macht
man eine
Heizung
unsichtbar
?
„Eine besonders leitfähige Aluschaumdecke verdeckt ein komplexes Rohrsystem, das im Sommer für Strahlungskälte sorgt, ebenso wie die Rohre im Boden. Im Winter liefert das gleiche System Wärme auf besonders energiesparende Art: mit einer reversiblen Wärmepumpe.“
Anfang 2022 ist der Glaspavillon fertig gestellt und die ganze Stadt wartet auf die Weiden. Es gibt viel Begeisterung und auch Skepsis, aber alle sind neugierig darauf, wie sich der Marktplatz durch das neue Gebäude verändern wird.
roboter
helfen
beim bau
Die Realisation der Stahlweiden stellt Architekten und Bauherren vor große Herausforderungen. Zuverlässige Statik und Haltbarkeit sowie die visuelle Strahlkraft sollen gesichert sein. Verschiedene Visualisierungen und Prototypen stellen Stationen auf der Suche nach der Lösung dar. Was ist die beste Form und Oberfläche, wie macht man die Astgabeln zu sicheren Verbindungen? Sind die Formen, die ein Computer selbstständig und auf Basis der aus der Natur entlehnten und vereinfachten Informationen errechnet hat, auch realisierbar?
Dieses Modell ist aus einem massiven Stahlblock gefräst. Der sehr ästhetische Prototyp gleicht einer Skulptur, ist jedoch als Bauteil für die Umsetzung der Weidenarchitektur viel zu schwer und in der Herstellung zu teuer.
Hier wurde die Astgabel mit 3D-Druck im Metallsinter-Verfahren hergestellt, die Äste aus Vierkantrohren angeschweisst. Das Material ist Edelstahl, der nach der Fertigstellung so hoch erhitzt wurde, dass er bräunlich oxidiert. Das sieht gut aus und kommt der natürlichen Rindenfarbe nah, ist jedoch nicht haltbar genug.
Die 3D-gedruckten Astgabeln werden von den Bauaufsichtsbehörden nicht zugelassen. Das Verfahren ist neu und die Stabilität noch zu unerforscht. Hier müssten aufwendige Prüfverfahren vorangehen, bevor 3D-gedruckte Stahlelemente dieser Art eine Zulassung zur Verwendung beim Bau bekommen könnten.
Ein sehr neuartiges 3D-Druckverfahren ist das WAAM (Wire Arc Additive Manufacturing), bei dem das Bauteil mit einem Metalldraht und in Schweißtechnik Stück für Stück und lagenweise aufgebaut wird. Auch diese Methode ist noch zu unerprobt, um den hohen Sicherheitsanforderungen an das Gebäude genügen zu können.
Diese Prototypen hat die Firma Gföllner aus Oberösterreich aus Vierkantrohren in Roboter-Schweisstechnik angefertigt. Die Beschichtung im Duplex Verfahren auf verzinktem Stahl erreicht genau den Glanz und hohen Kontrastumfang, der die künstlichen Weiden perfekt in Szene setzen wird. Die richtige Herstellungsmethode ist gefunden!
Die Stahlweiden wurden mit Hilfe von Cobots realisiert. Diese Roboter sind darauf programmiert selbstständig mit Menschen zusammenzuarbeiten. Sie unterstützen bei einer Tätigkeit oder führen einzelne Arbeitsschritte alleine aus. Sie sind leichter, kleiner und bewegen sich langsamer als normale Industrieroboter, um das Verletzungsrisiko für ihre menschlichen Kollegen zu senken.
Dieses Modell ist aus einem massiven Stahlblock gefräst. Der sehr ästhetische Prototyp gleicht einer Skulptur, ist jedoch als Bauteil für die Umsetzung der Weidenarchitektur viel zu schwer und in der Herstellung zu teuer.
Die 3D-gedruckten Astgabeln werden von den Bauaufsichtsbehörden nicht zugelassen. Das Verfahren ist neu und die Stabilität noch zu unerforscht. Hier müssten aufwendige Prüfverfahren vorangehen, bevor 3D-gedruckte Stahlelemente dieser Art eine Zulassung zur Verwendung beim Bau bekommen könnten.
Diese Prototypen hat die Firma Gföllner aus Oberösterreich aus Vierkantrohren in Roboter-Schweisstechnik angefertigt. Die Beschichtung im Duplex Verfahren auf verzinktem Stahl erreicht genau den Glanz und hohen Kontrastumfang, der die künstlichen Weiden perfekt in Szene setzen wird. Die richtige Herstellungsmethode ist gefunden!
Im Herbst 2022 ist es endlich so weit - die Baustämme der beiden Weiden werden vor dem Glaspavillon aufgestellt. Im Frühjahr 2023 "wachsen" an ihnen Stück für Stück die Äste und Zweige bis Ende Mai die Baumkronen über dem Archiv der Zukunft schweben.
Die beiden Baumstämme wiegen jeweils über 2 Tonnen und werden mit Spezialfahrzeugen von ihrem Produktionsort in Österreich angeliefert und aufgestellt.
8 Wochen lang werden insgesamt 307 Einzelteile angeliefert und daraus nach und nach die beiden Weiden aus Stahl aufgebaut.
Wenn sie komplett installiert sind, werden die Baumkronen eine Fläche von 143 Quadratmetern überspannen.
Die fertigen Bäume werden zusammen 25 Tonnen wiegen, sind je 12,6 Meter hoch und die Gesamtlänge ihrer Äste beträgt insgesamt 1,6 Kilometer.
Stimmen aus Lichtenfels
Das Archiv der Zukunft wird Ideen, Innovationen und Visionen für die Zukunft sammeln. Es ist offen für alle und bietet Veranstaltungsformate unterschiedlichster Art an, die überraschen und inspirieren. Eine Bühne bietet die Möglichkeit für Live-Vorträge vor Ort und online für die ganze Welt. Digitale Wechselausstellungen stellen fortlaufend jüngste innovative Errungenschaften aus der Welt vor.